Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Bundesgerichtshof

Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen


Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 (C-135/10) keine öffentliche Wiedergabe
Klägerin kann die restliche Vergütung nicht beanspruchen, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden ist - Der Beklagte war zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, weil die Geschäftsgrundlage des Lizenzvertrages durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 entfallen ist

(03.08.15) - Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat (Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 14/14) entschieden, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen im Allgemeinen keine - vergütungspflichtige - öffentliche Wiedergabe im Sinne des Urheberrechtsgesetzes darstellt. Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Sie ist von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (GVL) geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksendungen als Hintergrundmusik übertragen.

Die Parteien haben am 6. August 2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag geschlossen, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung des Repertoires der GEMA, der VG-Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung eingeräumt hat.

Der Beklagte hat der Klägerin zum 17. Dezember 2012 die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt. Diese hat er damit begründet, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 (C-135/10) keine öffentliche Wiedergabe darstelle.

Die Klägerin hat den Beklagten mit ihrer Klage auf Zahlung der für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 geschuldeten Vergütung von 113,57 Euro in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 61,64 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die Klägerin könne von dem Beklagten lediglich die Zahlung einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 16. Dezember 2012 in Höhe von 61,64 Euro beanspruchen. Der Lizenzvertrag sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden.

Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 entfallenden Vergütung 51,93 Euro erstrebt. Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Klägerin kann die restliche Vergütung nicht beanspruchen, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden ist. Der Beklagte war zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, weil die Geschäftsgrundlage des Lizenzvertrages durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 entfallen ist.

Die Parteien hatten den Lizenzvertrag am 6. August 2003 in der damals zutreffenden Annahme geschlossen, dass die Rechtsprechung in der Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine - vergütungspflichtige - öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG* sieht, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 22 Satz 1 Fall 1 UrhG**) und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG***).

Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 ist zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft**** und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums***** jedenfalls voraussetzt, dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit diesem Urteil ferner entschieden, dass diese Voraussetzungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksendungen als Hintergrundmusik wiedergibt.

Der Bundesgerichtshof ist an die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union gebunden und hat die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen. Der vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Sachverhalt stimmte darüber hinaus in allen wesentlichen Punkten mit dem Sachverhalt überein, der dem Gerichtshof der Europäischen Union bei seiner Entscheidung vorgelegen hatte. Der Bundesgerichtshof hat daher entschieden, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen im Allgemeinen - und so auch bei dem Beklagten - nicht öffentlich und damit auch nicht vergütungspflichtig ist.

Vorinstanzen:
AG Düsseldorf - Urteil vom 17. Oktober 2013 - 57 C 12732/12
LG Düsseldorf - Urteil vom 4. April 2013 - 23 S 144/13, juris

*§ 15 Abs. 3 UrhG:

Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.

**§ 22 Satz 1 UrhG:

Das Recht der Wiedergabe von Funksendungen […] ist das Recht, Funksendungen […] des Werkes durch […] Lautsprecher […] öffentlich wahrnehmbar zu machen.

***§ 78 Abs. 2 Nr. 3 UrhG:

Dem ausübenden Künstler ist eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn die Sendung […] der Darbietung öffentlich wahrnehmbar gemacht wird.

****Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 29/2001/EG:

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke […] zu erlauben oder zu verbieten.

*****Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG:

Die Mitgliedstaaten sehen ein Recht vor, das bei Nutzung eines zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks eines solchen Tonträgers für […] eine öffentliche Wiedergabe die Zahlung einer einzigen angemessenen Vergütung durch den Nutzer und die Aufteilung dieser Vergütung auf die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller gewährleistet.
(Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.15: ra)


Meldungen: Bundesgerichtshof

  • Cloud-basierte Software für Personalverwaltung

    Ein Arbeitnehmer kann einen Anspruch auf Schadenersatz wegen einer Verletzung der Datenschutz-Grundverordnung haben, wenn der Arbeitgeber personenbezogene Echtdaten innerhalb des Konzerns an eine andere Gesellschaft überträgt, um die Cloud-basierte Software für Personalverwaltung "Workday" zu testen.

  • Provisionsanspruch - Kryptowährung

    Die Übertragung der sog. Kryptowährung Ether (ETH) zur Erfüllung von Provisionsansprüchen des Arbeitnehmers kann, wenn dies bei objektiver Betrachtung im Interesse des Arbeitnehmers liegt, grundsätzlich als Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO* vereinbart werden. Der unpfändbare Betrag des Arbeitsentgelts muss dem Arbeitnehmer aber in Geld ausgezahlt werden.

  • Wettbewerbsverbot iSv. §§ 74 ff. HGB

    In die Berechnung einer Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB fließen auch Leistungen aus einem virtuellen Aktienoptionsprogramm ein. Das gilt jedoch nur, wenn die Optionsrechte im noch bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübt worden sind.

  • Erziehungsurlaub & Erfüllung der Wartezeit

    Ein Tarifvertrag darf bei der Ablösung eines Versorgungssystems, nach welchem Ansprüche auf Versorgung voraussetzten, dass die Arbeitnehmer eine ausreichende Anzahl vergüteter Monate bei der Arbeitgeberin gearbeitet haben (sog. Wartezeit), auch für die Einführung einer hierauf bezogenen Besitzstandskomponente danach unterscheiden, ob die Arbeitnehmer die Wartezeit erfüllt haben. Erziehungs- oder Elternzeiten ohne Vergütungsansprüche müssen dabei in die Wartezeit nicht einbezogen werden.

  • Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung

    Von den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltumwandlung (§ 1a BetrAVG) einschließlich des Anspruchs auf einen Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG kann gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG* auch in Tarifverträgen abgewichen werden, die bereits vor Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1. Januar 2018 geschlossen wurden.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen