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Kündigung durch betriebliche Erfordernisse


Compliance im Arbeitsrecht: Unwirksamkeit einer Kündigung trotz Interessenausgleichs mit Namensliste
Der auf der Namensliste stehende Arbeitnehmer hat Anspruch darauf, die Auswahlkriterien zu erfahren, die zu seiner Aufnahme auf die Liste geführt haben

(30.05.14) - Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 10.12.2013 (9 Sa 689/13) die Kündigung eines Arbeitnehmers, der in einem Interessenausgleich mit Namensliste genannt wurde, gleich aus mehreren Gründen für unwirksam erklärt. Für Rechtsanwalt Dr. Oliver K.-F. Klug, Hauptgeschäftsführer des Agad Arbeitgeberverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., zeigt diese Entscheidung besonders deutlich, welche Schwierigkeiten selbst beim Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste entstehen können.

"Der auf der Namensliste stehende Arbeitnehmer hat Anspruch darauf, die Auswahlkriterien zu erfahren, die zu seiner Aufnahme auf die Liste geführt haben. Eine zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber "ausgeklüngelte Namensliste" hilft daher im Streitfall wenig. Der Arbeitgeber muss später eintretende Umstände, wie das freiwillige Ausscheiden rentennaher Mitarbeiter oder auch Veränderungen bei den Sozialdaten Familienstand und Unterhaltspflichten, noch nachträglich zugunsten der Arbeitnehmer auf der Namensliste berücksichtigen", erklärt der Agad-Hauptgeschäftsführer.

Der Kläger war seit 1988 in der Fertigung zu einem Monatsverdienst von zuletzt 3.320 Euro brutto beschäftigt. Das Unternehmen, ein Produktionsbetrieb der Automobilzuliefererindustrie, plante eine Reduzierung des Personalbestandes um insgesamt 179 Arbeitnehmer. Mit dem Gesamtbetriebsrat wurde ein Interessenausgleich mit Punkteschema geschlossen. Diesem war eine Namensliste angefügt.

Der Kläger wandte sich gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung mit der gesamten "Klaviatur" der möglichen Unwirksamkeitsgründe.

Das LAG Hamm hielt wie schon die Vorinstanz die Kündigung aus mehreren Gründen für unwirksam:
Das Unternehmen habe nichts zu der erforderlichen Organisationsentscheidung vorgetragen, welche konkrete Änderung der Arbeitsorganisation es im Arbeitsbereich des Klägers aufgrund welcher Umstände mit welcher sich aus welchen konkreten Einzeltatsachen ergebenden Änderung des Arbeitsbedarfes vorgenommen haben will. Ebenso wenig sei vorgetragen worden, dass alternativ, unter gegebenenfalls teilweiser Beibehaltung der bisherigen Organisation, die Arbeitsmenge spätestens für den Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist in einem solchen Umfang reduziert sein würde, dass entsprechender Arbeitsbedarf entfallen würde.

Dem Arbeitgeber hätte es deshalb hier nur geholfen, wenn der Interessenausgleich mit Namensliste wirksam gewesen wäre. In diesem Fall wird nach § 1 Abs. 5 Satz 1 vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

Die Unwirksamkeit des Interessenausgleichs ergab sich aus den folgenden Gesichtspunkten:
Die Namensliste enthielt nicht ausschließlich Arbeitnehmer, die aus der eigenen Sicht der Betriebsparteien aufgrund der dem Interessenausgleich zugrundeliegenden Betriebsänderung zu kündigen waren. Vielmehr enthielt die Namensliste auch solche Arbeitnehmer, die in rentennahen Jahrgängen individuell Ausscheidenswünsche geäußert hatten. Dieser Fehler führt dazu, dass der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG gänzlich die Grundlage entzogen ist (BAG, 26.03.2009 – 2 AZR 296/07 –).

Der Arbeitgeber hatte weder gegenüber dem Betriebsrat noch im Prozess substantiiert vorgetragen, welche konkreten betrieblichen Gründe für die Herausnahme von sog. Leistungsträgern entscheidend waren.

Der Arbeitgeber hatte in einem Bereich mit lediglich zwölf Mitarbeitern sechs Altersgruppen gebildet, um in diesen insgesamt 7 Kündigungen durchführen zu können. Die Altersgruppenbildung war unzulässig, da eine hinreichend proportionale Verteilung der Kündigungen auf die derart kleinteilig gebildeten Sozialauswahlgruppen nicht möglich war.

Der Arbeitgeber hatte für die Feststellung der bei der Sozialauswahl entscheidenden Sozialdaten einen festen Stichtag eingeführt. Der Kläger war aber zwischen Stichtag und Ausspruch der Kündigung noch Vater eines vierten Kindes geworden. Das LAG stellt klar, dass ein Stichtag allenfalls für die Sozialdaten Alter und Betriebszugehörigkeit maßgeblich sein könne. Heirate aber ein Arbeitnehmer zwischen dem Stichtag für die Auswahldaten und der Anhörung des Betriebsrats seine von ihm schwangere Freundin und falle in diesem Zeitraum noch die Geburt zumindest eines Kindes (es könne auch Mehrlingsgeburten geben), dürfe dies vor Ausspruch der Kündigung nicht unberücksichtigt bleiben. Dafür sei im Interessenausgleich beispielsweise ein kurz festgelegtes Verfahren (z. B. neue Reihung nach neuem Punktwert, bei Punktgleichheit Vorrangmerkmal A, hilfsweise B, dann hilfsweise C) vorzusehen.

Schlussendlich war auch noch das Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG unwirksam. (Agad: ra)

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