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Interview mit Rainer Knyrim, Rechtsanwalt


Compliance und Web 2.0: Die Entwicklung des Web wird Juristen immer wieder vor neue Anforderungen stellen
Rechtliche Themen bei neuen Geschäftsfeldern nicht vergessen – Im Internet herrscht keine rechtliche Anarchie


(27.02.07) - Datenschutzspezialist Rainer Knyrim*, Rechtsanwalt bei der Preslmayr Rechtsanwälte OEG nimmt im Gespräch mit Michael Ghezzo die rechtlichen Aspekte des Web 2.0 Hypes aufs Korn und gibt Auskunft, welche Rechtsfallen er für Anwender und Anbieter ortet.

Michael Ghezzo: Ist alles was man als Web 2.0 bezeichnet rechtliches Brachland?

Rainer Knyrim: Leider glauben nach wie vor noch immer viele Anbieter und User, dass im Internet rechtliche "Anarchie" herrscht. Dies gilt umso mehr bei neuen Entwicklungen wie Web 2.0. Das Erstaunen ist dann groß, wenn sie beim illegalen Download, Abschreiben ganzer Textpassagen, Kopieren von Bildern, Stehlen ganzer Webauftritte oder Geschäftskonzepte, verbotener Veröffentlichung von Daten oder beim Spammen erwischt werden. "Heulen und Zähneknirschen" folgt dann, wenn plötzlich ein Brief von einem Rechtsanwalt kommt, der nicht nur sofortige Unterlassung fordert, sondern auch den entgangenen Gewinn einfordert oder mit Schadensersatz und einstweiliger Verfügung, Klage, Urteilsveröffentlichung etc. droht. Dann erkennen sie - leider zu spät - dass Rechtsverletzungen im Internet mittlerweile "beinhart" verfolgt werden. Die Deutlichkeit der "Aufklärungsfilme" der Urheberrechtsverwertungsgesellschaften gegen illegale Downloads zeigen z.B., dass diese nicht mehr als "Kavaliersdelikte" hingenommen werden.

Michael Ghezzo: Welchen Schutz haben Anwender im neuen Web? Welche Normen sind anwendbar? Welche Probleme gibt es?

Rainer Knyrim: Grundsätzlich sind alle Normen auch im Web 2.0 gültig. Der Anwender kann sich dort genauso auf Wettbewerbsrecht, das Urheberrechtsgesetz, Datenschutzgesetz, Telekommunikationsgesetz, E-Commerce-Gesetz usw. berufen wie in der "Offline"-Welt. Als Rechtsanwalt muss ich aber leider immer wieder feststellen, dass zwar die notwendigen Normen meist vorhanden sind, deren Durchsetzung aber nicht immer einfach ist. Richter müssen neue Technologien erst verstehen und neue Gesetze zur "Online-Welt" anwenden lernen. Behörden erhalten nicht genug Schulungen und Personal, um sich mit den neuen Problemen des Internet zu beschäftigten. Und dass die Sanktionierung so abstrakter Materien wie etwa des E-Commerce- oder des Datenschutzgesetzes teilweise durch Sachbearbeiter in Bezirksverwaltungsbehörden erfolgen muss, könnte überdacht werden. Problematisch ist aber vor allem die Globalität des Webs: Gegen Spammer, die heute aus den USA und morgen aus Russland spammen oder Domain-Grabber, die österreichische Domains über Briefkastenfirmen auf so ausgefallenen Inselstaaten wie Tuvalu oder Vanuatu registrieren, ist eine Verfolgung nur mit großem Aufwand möglich und höchst schwierig, etwas zu erreichen.

Michael Ghezzo: Welche Rechtsfragen werden Ihrer Ansicht nach in Zukunft in diesem Zusammenhang Richter und Anwälte befassen?

Rainer Knyrim: Die Entwicklung des Web wird die Juristen immer wieder vor neue Anforderungen stellen. Ein Beispiel: Auf Second Life investieren derzeit hunderttausende Unternehmen und User Millionen realer Dollar für ein "zweites" Leben in einer vollkommen fiktiven Welt. Die Nutzungsbedingungen von Second Life bestimmen, dass deren Betreiber Linden Labs "jederzeit jeglichen Inhalt von Second Life teilweise oder vollständig aus jeglichem Grund oder auch grundlos ohne Vorankündigung löschen kann" und dafür auf keine erdenkliche Weise haftet. Wird ein Richter einen derartigen Haftungsausschluss gelten lassen? Ist Second Life einfach nur ein Computerspiel, das man nach belieben abdrehen kann? Oder doch eher eine neuartige Business-Plattform, deren Betreiber virtuelle Grundstücke verkauft, die er dann nicht nachher grundlos "löschen" darf?

Michael Ghezzo: Werden neue technische Entwicklungen unlösbare Rechtsprobleme bringen?

Rainer Knyrim: Juristen sind immer bemüht, neue technische Entwicklungen rechtlich zu erfassen. Neben dem oben geschilderten derzeitigen ernsten Problem der Rechtsverfolgung in einer völlig globalisierten Online-Welt könnte noch die Verschmelzung der realen mit der virtuellen Welt hinzukommen, die den "old economy - Rechtsstaat" vor ernsthafte Probleme stellt.
Stellen Sie sich vor, Google kauft etwa Second Life und verknüpft es mit Google Earth und You Tube und schließt Kooperationen mit Ebay und iTunes ab. Es könnte dadurch nicht nur zu einer totalen Vernetzung und Globalisierung kommen, sondern auch noch zu einer Vermischung von realer und virtueller Welt.

Es wären dann noch nie dagewesene Sachverhalte zu lösen, wie etwa: Ein Second Life - Avatar, der dort auf "German Island" lebt, in Google Earth aber in Burundi lokalisiert werden kann, behauptet in einem You Tube - Video, dass ein bestimmter ebay-User, dessen reales Haus er auf Google Earth in Kasachstan lokalisiert haben will, mit einem gehackten Avatar eines Minderjährigen auf ebay.fr einen virtuellen iPod durch Versteigerungsmanipulation billig "ergaunert" habe, mit dem er dann von einem Studenten aus Kolumbien über eine ftp-Plattform einer amerikanischen Universität illegal gekaufte Lieder von iTunes.com in der Bar eines virtuellen Nachtlokals namens "Paris Hilton", das im virtuellen Wien angesiedelt ist, abspielt.

Könnte der bloßgestellte User auf Verleumdung klagen? Wo? Dürfte der Avatar zum Wahrheitsbeweis die Herausgabe aller notwendigen Userdaten von Google verlangen? Könnte Paris Hilton auf Verletzung ihrer Namensrechte klagen? Wen? Wo? Wäre das Abspielen der Lieder in einer virtuellen Welt eine öffentliche Aufführung, für die Urheberrechtsabgaben zu zahlen sind? Wo muss das virtuelle Nachtlokal seine Eintrittsgelder versteuern? Usw. usw. Viele spannende Fragen, zu denen Juristen beweisen werden müssen, dass es keine unlösbaren Rechtsprobleme gibt.

*Rainer Knyrim ist Referent auf dem CONEX-Forum "Web 2.0 goes Business" auf dem Top-Manager führender Web 2.0 Unternehmen – wie JaJah, Wikipedia oder Drei über die aktuellen Trends sprechen.
(Conex: ra)


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