Muss Datenschutzrecht vereinfacht werden?


Studie: Internetnutzer gehen pragmatisch mit Datenschutz um
Benutzerfreundlichkeit darf nicht unter überzogenen Datenschutzregeln leiden - Digitalwirtschaft fordert Nachbesserungen bei der EU-Datenschutzverordnung

(08.10.15) - Zwei Drittel (67 Prozent) der Internetnutzer in Deutschland verzichten bewusst auf bestimmte Online-Dienste, wenn sie dort persönliche Daten wie Name, E-Mail-Adresse oder Geburtsdatum angeben müssen. Grund ist die Sorge, dass ihre Daten missbraucht werden könnten. 87 Prozent derjenigen, die zum Beispiel auf soziale Netzwerke oder Online-Speicherdienste verzichten, befürchten die Weitergabe ihrer Daten an Dritte. Fast genauso viele wollen keine unerwünschte Werbung erhalten (83 Prozent), fürchten eine Speicherung ihres Nutzungsverhaltens (82 Prozent) oder halten die Anbieter für nicht vertrauenswürdig (81 Prozent).

Gleichzeitig gehen die Nutzer pragmatisch mit dem Datenschutz um. Fast drei Viertel (73 Prozent) sagen, dass die Benutzerfreundlichkeit von Online-Diensten nicht unter überzogenen Datenschutzregeln leiden darf. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) findet es gut, wenn die Dienste durch die Auswertung von persönlichen Daten einfacher zu handhaben sind. Das berichtet der Digitalverband Bitkom auf Grundlage einer repräsentativen Umfrage. "In vielen Fällen machen die Nutzer eine einfache Kosten-Nutzen-Analyse: Welche Vorteile bringt der Dienst und was kann im schlimmsten Fall passieren?", sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder bei der Vorstellung der Studienergebnisse. "Dabei sind viele Nutzer verunsichert und wünschen sich mehr Orientierung und Transparenz in der digitalen Welt."

Aus Sicht des Bitkom muss das Datenschutzrecht vereinfacht werden, damit Nutzer kürzer und verständlicher über die Verarbeitung ihrer Daten informiert werden können. Die geplante EU-Datenschutzverordnung dürfe innovative Methoden der Verarbeitung und Analyse von Daten nicht verhindern.

Ein Grund für die Verunsicherung vieler Internetnutzer ist ein Mangel an Wissen über den Datenschutz. Laut Umfrage sagen 68 Prozent, dass ihnen Informationen darüber fehlen, was sie selbst für den Schutz ihrer Daten im Internet tun können. Zwar lesen immerhin zwei Drittel (67 Prozent) die Datenschutzerklärungen von Online-Diensten – allerdings unterschiedlich intensiv. Ein Drittel (32 Prozent) der Befragten überfliegt die Erklärungen lediglich kurz und ein Fünftel (21 Prozent) liest sie selektiv auf der Suche nach bestimmten Informationen.

Nur 14 Prozent lesen die Datenschutzerklärungen "aufmerksam und vollständig" durch. Das führt dazu, dass vier von fünf (79 Prozent) Internetnutzern den Datenschutzerklärungen zustimmen, ohne sie wirklich verstanden zu haben. Online-Dienste müssen gemäß Datenschutzgesetz ihre Nutzer mit einer Datenschutzerklärung informieren und von ihnen die Einwilligung für die Verarbeitung ihrer persönlichen Daten einholen. Rohleder: "Die Gesetzgebung sollte übersichtliche und knappe Datenschutzerklärungen ermöglichen."

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass viele Internetnutzer trotz der Bedenken pragmatisch mit dem Thema Datenschutz umgehen. Fast neun von zehn (87 Prozent) Befragten nutzen bestimmte Online-Dienste, obwohl Sie kein volles Vertrauen haben, dass diese die gesetzlichen Vorgaben für die Datenverarbeitung in Deutschland einhalten. Als Grund sagen 72 Prozent, dass sie den Dienst nützlich finden. Fast einem Drittel (31 Prozent) ist die Einhaltung des Datenschutzrechts "nicht so wichtig". Jeder zehnte muss bestimmte Online-Dienste nutzen, zum Beispiel beruflich. Besonders aktiv beim Schutz ihrer der eigenen Privatsphäre sind die Nutzer sozialer Netzwerke. Drei Viertel (75 Prozent) haben sich mit den Privatsphäre-Einstellungen ihres für sie persönlich wichtigsten Netzwerks beschäftigt. 60 Prozent haben sich nicht nur damit auseinandergesetzt, sondern die Einstellungen danach verändert. 15 Prozent haben keine Änderungen vorgenommen. Rohleder: "Wenn die Nutzer für ein Thema wie die Privatsphäre in sozialen Netzwerken sensibilisiert sind und es um eine konkrete Anwendung geht, funktioniert Datenschutz in der Praxis."

Einen wichtigen Beitrag für mehr Vertrauen in der Bevölkerung soll die geplante Datenschutzverordnung der EU leisten. Sie soll das Datenschutzrecht in Europa grundlegend modernisieren und vereinheitlichen. "Eine Harmonisierung erleichtert es europäischen und internationalen Unternehmen, ihre Dienste für alle Mitgliedsstaaten der EU einheitlich rechtssicher zu gestalten", sagte Rohleder. Inhaltlich gebe es im Verordnungsentwurf aus Sicht der Digitalwirtschaft aber noch erheblichen Nachbesserungsbedarf. "Die Datenverarbeitung darf nicht in ein zu enges rechtliches Korsett gezwängt werden", betonte Rohleder. Die Folge wäre ein empfindlicher Wettbewerbsnachteil bei der Entwicklung neuer Technologien in Europa.

Aus Sicht des Bitkom wird das Datenschutzrecht alter Prägung von Grundsätzen geleitet, die sich kaum noch mit der vernetzten, von Daten bestimmten digitalen Welt vertragen. "Wir sollten uns nicht gegen die Logik der Digitalisierung wenden, indem wir das Dogma aufrechterhalten, möglichst wenige Daten zu erheben", sagte Rohleder. Stattdessen sollten die Chancen der Datennutzung für die gesamte Gesellschaft realisiert werden. So können Mediziner innerhalb von Minuten individuelle Krebstherapien für Patienten erstellen oder Autofahrer in Echtzeit auf die aktuelle Verkehrssituation reagieren. Rohleder: "Der enorme Nutzen für die Menschen muss wieder in den Mittelpunkt der Debatte gestellt werden. Datenschutz muss mit anderen Grundrechten wie dem Recht auf körperliche Unversehrtheit klug abgewogen werden."

Mit Blick auf Big Data-Analysen ist der Grundsatz der Zweckbindung besonders problematisch. Danach dürfen Daten nur für die Zwecke verarbeitet werden, für die sie erhoben wurden. Viele Big Data Analysen zielen aber darauf ab, aus einem vorhandenen Datenbestand neue Erkenntnisse zu gewinnen. Daher ist es bei der Datenerhebung kaum möglich, sämtliche Analyse- und Verwendungszwecke vorauszusehen. Im deutschen Datenschutzrecht gibt es die grundsätzliche Erlaubnis für Unternehmen, Daten weiterzuverarbeiten, wenn ein "berechtigtes Interesse" besteht und dem keine Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Der Bitkom setzt sich dafür ein, dass dieses Recht auf europäischer Ebene erhalten bleibt.

Ein wesentlicher Schwachpunkt der aktuellen Entwürfe ist aus Sicht des Bitkom, dass Anreize für die Anonymisierung und Pseudonymisierung von personenbezogenen Daten fehlen. Mit diesen Instrumenten kann der Bezug eines Datensatzes zu einer einzelnen Person entfernt werden. In der Praxis erleichtert die Anonymisierung, also die endgültige Entfernung jeden Personenbezugs, zum Beispiel die datenschutzfreundliche Nutzung von Standortdaten für die Verkehrslenkung. Ein anderes Beispiel ist die Auswertung der Krankheitsverläufe von Patienten für die medizinische Forschung. In der Medizin wird viel mit pseudonymisierten Daten gearbeitet, bei denen der Personenbezug entfernt wurde, aber unter bestimmten Voraussetzungen wieder hergestellt werden kann. "Setzen Unternehmen oder andere Organisationen Verfahren der Anonymisierung oder Pseudonymisierung von Daten ein, sollte eine Verarbeitung erleichtert werden", forderte Rohleder. Dafür müssten in der Verordnung aber rechtliche Anreize geschaffen werden. Als Vorbild könnte das deutsche Telemediengesetz dienen.

Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine repräsentative Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden in zwei Wellen 1.013 bzw. 1.009 Internetnutzer in Deutschland ab 14 Jahren befragt. (Bitkom: ra)

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Meldungen: Studien

  • Datenschutz als Innovations-Bremse

    Mehr als zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland fühlen sich vom Datenschutz ausgebremst. 70 Prozent haben bereits mindestens einmal Pläne für Innovationen aufgrund von Datenschutz-Vorgaben oder Unsicherheiten bei der Anwendung des geltenden Rechts gestoppt. Vor einem Jahr lag der Anteil noch bei 61 Prozent. Aktuell sagen wie im Vorjahr 17 Prozent, dass sie einmal auf Innovationspläne verzichtet haben. Bei 35 Prozent war das dagegen bereits mehrfach der Fall (2024: 27 Prozent) und bei 18 Prozent sogar häufig (2024: 17 Prozent). Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 605 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.

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    IT-Verantwortliche bewerten das Risiko, dass ihr Unternehmen Opfer einer Cyberattacke wird, so hoch wie nie zuvor: Fast sieben von zehn Befragten (69 Prozent) befürchten laut einer aktuellen EY-Studie Hackerangriffe und bewerten die Gefahr dabei als "eher hoch" bis "sehr hoch". Besonders große Sorgen machen sich die Befragten in den Bereichen Technologie, Medien und Telekommunikation (82 Prozent), Energie und Metallverarbeitung (80 Prozent), Pharma und Gesundheit sowie Bau und Immobilien (jeweils 71 Prozent).

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    NTT Data stellte die Ergebnisse ihrer neuesten Studie vor. Die Daten zeigen, dass Fertigungsunternehmen beim Einsatz von GenAI zwar vor einigen Hürden stehen, die Technologie aber das Potenzial hat, ein ganz neues Niveau an Effizienz und Innovationskraft hervorzubringen. Neben den vielen Anwendungsbereichen von GenAI untersuchte die Studie "Von der Fertigungshalle ins KI-Zeitalter: Haben Sie einen Masterplan oder Nachholbedarf?" auch die Herausforderungen, denen sich das produzierende Gewerbe gegenübersieht.

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    Ob zur Qualitätskontrolle, Automatisierung, Energieeinsparung oder Steuerung von Robotern - die Anwendungsmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz in der Produktion sind zahlreich. Mit Blick auf die deutsche Industrie zeigt sich aber: Nur einem Viertel der Unternehmen gelingt es nach eigener Einschätzung bereits gut, die Potenziale von KI zu nutzen (24 Prozent). Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, die unter 552 Industrieunternehmen des verarbeitenden Gewerbes ab 100 Beschäftigten in Deutschland durchgeführt wurde. Die übrigen drei Viertel sehen sich noch nicht imstande, entsprechende Möglichkeiten auszuschöpfen (72 Prozent).

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    Frauen drohen bei Künstlicher Intelligenz (KI), die bis 2030 allein in Deutschland 3 Millionen Jobs verändern könnte, ins Hintertreffen zu geraten. So zeigen aktuelle Zahlen von Coursera, dass lediglich 27 Prozent der Lernenden in Generative-AI (GenAI)-Kursen in Deutschland (102.000 Einschreibungen) weiblich sind. Dies liegt noch unter dem weltweiten Durchschnitt von 32 Prozent und reicht im Ländervergleich gerade für einen Platz in den Top-Ten (Platz 9). Und das, obwohl sich allein auf Coursera im vergangenen Jahr weltweit alle 10 Sekunden jemand in einen GenAI-Kurs einschrieb.

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