Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Bundesgerichtshof

Preismissbrauchskontrolle & Preisbildungsfaktoren


Kartellrechtliches Missbrauchsverfahren wegen überhöhter Wasserpreise vor dem BGH
Beschluss vom 14. Juli 2015 - KVR 77/13: Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Rechtsbeschwerde der Landeskartellbehörde auch den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 5. September 2013 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen

(10.08.15) - Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich mit einem kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren gegen die Energie Calw GmbH wegen überhöhter Wasserpreise befasst. Die zuständige Landeskartellbehörde hat der Betroffenen aufgegeben, unter Beibehaltung des aktuellen Grundpreises für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2009 allen Tarifkunden einen Nettopreis von nicht mehr als 1,82 € statt zuvor 2,79 € je Kubikmeter Wasser zu berechnen und ihnen im Falle einer bereits erfolgten Endabrechnung die Differenz zu erstatten.

Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Verfügung wegen grundlegender Bedenken gegen die von der Landeskartellbehörde gewählte Kontrollmethode aufgehoben. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 15. Mai 2012 – KVR 51/11 ebenfalls aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Dabei hat der Kartellsenat ausgeführt, ein Preishöhenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB* könne nicht nur aufgrund einer Vergleichsmarktbetrachtung festgestellt, sondern auch dadurch ermittelt werden, dass die Preisbildungsfaktoren überprüft würden.

Das Beschwerdegericht hat die Verfügung der Landeskartellbehörde daraufhin mit Beschluss vom 5. September 2013 erneut insgesamt aufgehoben und die Sache an die Landeskartellbehörde zurückverwiesen. Es ist davon ausgegangen, dass die Vorgaben der Strom- und der Gasnetzentgeltverordnung zwar eine zulässige und tragfähige Einstiegsgröße zur gebotenen Preismissbrauchskontrolle darstellten, dass sie aber, wenn man sich dafür entscheiden würde, als geschlossenes System insgesamt angewendet werden müssten, was die Landeskartellbehörde nicht getan habe. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht verschiedene Kürzungen in der Kostenkalkulation der Landeskartellbehörde beanstandet.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Rechtsbeschwerde der Landeskartellbehörde auch den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 5. September 2013 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Er hat entschieden, dass das Beschwerdegericht nicht berechtigt ist, die angefochtene Verfügung vollständig aufzuheben, wenn sich diese nur teilweise als rechtswidrig erweist. Das Beschwerdegericht hätte unter dieser Voraussetzung vielmehr nur den für rechtswidrig erkannten Teil der Verfügung aufheben dürfen und im Übrigen die Beschwerde zurückweisen müssen.

Im weiteren Verfahren vor dem Beschwerdegericht wird es u.a. wieder um den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt der Kostenkontrolle gehen. Der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Kartellbehörde bei einer Preismissbrauchskontrolle anhand der Preisbildungsfaktoren auf die einschlägigen und gegebenenfalls weiterzuentwickelnden ökonomischen Theorien zurückgreifen könne. Der Begriff der "ökonomischen Theorien" sei dabei weit zu verstehen und umfasse auch die Grundsätze der Strom- und der Gasnetzentgeltverordnung. Anders als vom Beschwerdegericht angenommen bestehe jedoch keine Bindung an diese Verordnungen in dem Sinne, dass sie entweder ganz oder gar nicht berücksichtigt werden dürften. Vielmehr müsse die Tragfähigkeit aller von der Kartellbehörde angewandter Methoden der Kostenkontrolle je für sich überprüft werden.

Weiter hat der Kartellsenat Ausführungen zur Beweislast gemacht. Zwar herrsche im Kartell-Verwaltungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz. Das betroffene Unternehmen habe jedoch Mitwirkungspflichten. Wenn es diese verletze, könne dies im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu seinen Lasten Berücksichtigung finden.

Der Kartellsenat hat ein Einschreiten der Kartellbehörde anders als das Beschwerdegericht, das die Grenze bei 7,5 Prozent gesehen hat, schon dann für möglich gehalten, wenn die Preise um 3 Prozent überhöht sind.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. September 2013 – 201 Kart 1/12, ZNER 2013, 614

Karlsruhe, den 14. Juli 2015

*§ 19 GWB: Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

(1)Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.

(2)Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen
(…)

Nr. 2Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; …

(…)
(Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2015: ra)



Meldungen: Bundesgerichtshof

  • Vergütungsfrage für Betriebsratsmitglieder

    Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Mitglieder des Betriebsrats Anspruch auf Erhöhung ihres Arbeitsentgelts in dem Umfang, in dem das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung steigt (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG*). Für das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Anspruchs ist grundsätzlich das Betriebsratsmitglied darlegungs- und beweisbelastet. Korrigiert der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.

  • Virtuelle Aktienoptionen & Karenzentschädigung

    In die Berechnung einer Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB fließen auch Leistungen aus einem virtuellen Aktienoptionsprogramm ein. Das gilt jedoch nur, wenn die Optionsrechte im noch bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübt worden sind.

  • Kündigungsschutz in der Schwangerschaft

    Erlangt eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG* Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, ist die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG** nachträglich zuzulassen.

  • Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe

    Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe), löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB iVm. § 283 Satz 1 BGB auf Schadensersatz statt der Leistung aus.

  • Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts

    Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) schließt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristsachen an, wonach ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen hat, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen