Anlasslose intelligente Videoüberwachung


Einsatz und Rechtsgrundlage von intelligenter Videoüberwachung
Bis heute gibt es keine spezielle Rechtsgrundlage für den anlasslosen Einsatz intelligenter Videoüberwachung im öffentlichen Raum




Die FDP-Fraktion möchte wissen, ob die Deutsche Bundesregierung beabsichtigt, " den flächendeckenden Einsatz anlassloser intelligenter Videoüberwachung an Bahnhöfen oder anderen öffentlichen Räumen einzuführen" . Ferner erkundigt sie sich in einer Kleinen Anfrage (19/4343) unter anderem danach, ob die die Bundesregierung der Ansicht ist, dass Maßnahmen anlassloser intelligenter Videoüberwachung im öffentlichen Raum nach derzeitiger Rechtslage auch ohne Einwilligung der betroffenen Personen eingesetzt werden können.

Vorbemerkung der Fragesteller
Im Rahmen des gemeinsamen Pilotprojekts " Sicherheitsbahnhof Berlin-Südkreuz" des Bundesministeriums des Innern, der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes und der Deutschen Bahn AG werden seit dem 1. August 2017 Systeme der " intelligenten Videoüberwachung" getestet. Das Projekt ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teilprojekt nutzten die Softwaresysteme von drei unterschiedlichen Herstellern die am Bahnhof Berlin-Südkreuz bestehende Videotechnik, um die Gesichter von Personen, die in entsprechend gekennzeichneten Testbereichen am Bahnhof erfasst werden, mit einer für die Erprobung erstellten Datenbank aus Lichtbildern von 275 freiwilligen Personen abzugleichen (automatisierte Gesichtserkennung).

Im zweiten Testszenario soll ab Oktober 2018 die Erprobung sogenannter intelligenter Videoanalysesysteme für die Behandlung und Auswertung verschiedener Verhaltensmuster erfolgen. Dabei soll die Erkennung der Szenarien " Abgestellte Gegenstände" , " Betreten festgelegter Bereiche" , " Liegende (hilfsbedürftige) Person" , " Personenströme/Ansammlungen" , " Nachvollziehen der Position von einzelnen Personen/Gegenständen" und " Personenzählung" in Echtzeit und retrograd getestet werden (vgl. Bundestagsdrucksache 19/3592, S. 21).

Bis heute gibt es keine spezielle Rechtsgrundlage für den anlasslosen Einsatz intelligenter Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Die Bundesregierung ist der Auffassung, die Maßnahmen analog zur konventionellen Videoüberwachung auf § 27 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Bundespolizei (BPolG) stützen zu können (vgl. Bundestagsdrucksache 19/3750, S.5) Diese Auffassung wird in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bezweifelt. Zwar könnten gewisse kriminaltechnische Neuerungen in den Anwendungsbereich bestehender Regelungen einbezogen werden (vgl. BVerfG Urteil v. 12. April 2005 – 2 BvR 581/01, Rn. 51 in Bezug auf die " Technikoffenheit" strafprozessualer Regelungen). Die intelligente Videoüberwachung sei aber keine bloße technische Neuerung, sondern ein Überwachungsmittel eigener Art. Die automatisierte Auswertung von Bilddaten stelle gegenüber deren Erhebung einen zusätzlichen und ganz erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1 i.V.m. Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes dar, für den eine eigene Rechtsgrundlage erforderlich sei (vgl. Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zur sog. Intelligenten Videoüberwachung, Nr. 47/2017, S. 5; ebenso der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, Sachstand WD 3 – 3000 – 202/16, S. 3).

Dies folgt auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur automatisierten Kennzeichenerkennung, bei der Kfz-Kennzeichen von einer Videokamera optisch erfasst, ihre Daten ausgelesen und mit den Einträgen in polizeilichen Fahndungsdateien abgeglichen werden (vgl. BVerfG, Urteil v. 11. März 2008 – 1 BvR 2074/05 – BvR 1254/07). Da biometrische Gesichtsdaten durch den Bezug zum menschlichen Körper und die Stabilität der individuellen Zuordnung eine weit höhere Persönlichkeitsrelevanz haben als Kfz-Kennzeichen, könnten die Eingriffsvoraussetzungen bei Ersteren jedenfalls nicht geringer sein, sodass es einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung bedürfe.

Der Vorbehalt des Gesetzes und das damit im Zusammenhang stehende Bestimmtheitsgebot erforderten eine klare gesetzliche Regelung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, die der Exekutive ihre Befugnisse vorgebe und betroffene Personen das Ausmaß der Datenerhebung und Verarbeitung erkennen lasse (vgl. Hornung/ Schindler, Das biometrische Auge der Polizei, ZD 2017, 203 (207-209)). Auch der baden-württembergische Landesgesetzgeber ist der Ansicht, dass die intelligente Videoüberwachung nicht auf die bestehenden Regelungen für die konventionelle Videoüberwachung gestützt werden können (vgl. Landtag v. Baden-Württemberg, Drucksache 16/2741, S. 28).

Vor diesem Hintergrund ergeben sich rechtliche und praktische Fragen für den Einsatz von intelligenter Videoüberwachung im öffentlichen Raum.
(Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 23.09.18
Newsletterlauf: 07.11.18



Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • AfD will Gebäudeenergiegesetz abschaffen

    Die AfD-Fraktion will das Gebäudeenergiegesetz (GEG) abschaffen und verlangt in einem Antrag (21/227) außerdem, auf die CO2-Bepreisung von Heizöl und Gas zu verzichten. Die entsprechenden Vorschriften sollen "schnellstmöglich, vollständig und ersatzlos" gestrichen werden. Zudem soll die Umsetzung aller entsprechenden EU Verordnungen und Richtlinien (etwa der sogenannte Green Deal der EU) sowie damit verbundene Regulierungen wie der CO2-Grenzausgleich sofort beendet werden.

  • Änderung der Verordnung (EU) 2017/625

    Die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen drängt auf eine verpflichtende Produktkennzeichnung für Lebensmittel, die genomisch verändert wurden. Anlass ist ein Vorschlag der Europäischen Kommission, die im Juli 2023 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über mit genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel vorgelegt hat.

  • Steuerhinterziehung & Cum-Cum

    Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt in einem Antrag (21/226), organisierte Steuerhinterziehung wie die sogenannten Cum-Cum-Deals aufzuklären und die Steuermilliarden konsequent zurückzufordern. Dazu sollen die Aufbewahrungsfristen für Belege bei Finanzinstitutionen verlängert werden. Der Antrag steht am Donnerstag auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages.

  • Ausschuss gegen Cum-Cum-Antrag der Grünen

    Der Finanzausschuss hat mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD einen Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "Organisierte Steuerhinterziehung wie Cum-Cum-Deals aufklären, Steuermilliarden konsequent zurückfordern und Aufbewahrungsfristen für Belege bei Finanzinstitutionen verlängern" (21/226) abgelehnt. Für den Antrag stimmten neben der Antragstellerin die Fraktionen der AfD und Die Linke.

  • Versorgungslage signifikant verbessert

    Die Inbetriebnahme des vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entwickelten Frühwarnsystems bei Arzneimittel-Lieferengpässen in einer funktionsfähigen Basisversion ist nach Angaben der Bundesregierung für das vierte Quartal 2025 vorgesehen. Der Aufbau des Frühwarnsystems habe insbesondere bei der Beobachtung und Bewertung der Versorgung mit antibiotikahaltigen Arzneimitteln für Kinder unterstützende Daten geliefert, heißt es in der Antwort (21/338) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (21/171) der AfD-Fraktion.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen