Wirtschaft warnt vor Belastungen


Die Bundesregierung muss die Erbschaftsteuer neu regeln, nachdem das Bundesverfassungsgericht Änderungen an den bisher geltenden Regeln angemahnt hat
Die bisherige Regelung, dass die Verschonungsregeln auch bei großen Betriebsvermögen gelten, ohne dass der Bedarf einer Verschonung geprüft wird, war vom Verfassungsgericht verworfen worden

(10.11.15) - Mehrere Experten haben in einer Anhörung des Finanzausschusses Klarstellungen am Entwurf für die Neuregelung der Erbschaftsteuer empfohlen. So sprachen sich die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme für eine bessere Definition des begünstigten Betriebsvermögens aus. Sämtliches Vermögen, das zur Deckung von Pensionsverpflichtungen vorgesehen ist, sollte zum begünstigten Vermögen gehören. Weitere Änderungswünsche betreffen die Einstufungen von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens sowie die Regelung für Lohnsummen. Erben von Unternehmen müssen bestimmte Lohnsummenwerte einhalten, um eine Reduzierung der Erbschaftsteuer zu erreichen. Die Grenze für die Freistellung von Nachweispflichten solle hier von drei auf sieben Beschäftigte angehoben werden, verlangt die deutsche Wirtschaft. Mehrere Sachverständige äußerten zudem starke Zweifel, ob der Entwurf verfassungsgemäß ist.

Die Bundesregierung muss die Erbschaftsteuer neu regeln, nachdem das Bundesverfassungsgericht Änderungen an den bisher geltenden Regeln angemahnt hat. Das Gericht hatte insbesondere die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen als zu weitgehend betrachtet. Dazu legte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (18/5923, 18/6279) vor, dessen Ziel es unter anderem ist, die vorhandene Beschäftigung in den übergehenden Betrieben weiterhin zu sichern.

Die bisherige Regelung, dass die Verschonungsregeln auch bei großen Betriebsvermögen gelten, ohne dass der Bedarf einer Verschonung geprüft wird, war vom Verfassungsgericht verworfen worden. Bei einem Erwerb großer Vermögen über 26 Millionen Euro wird daher ein Wahlrecht zwischen einer Verschonungsbedarfsprüfung und einem Verschonungsabschlag eingeführt. Bei der Verschonungsbedarfsprüfung hat der Erwerber nachzuweisen, dass er nicht in der Lage sein würde, die Steuerschuld mit anderem als Betriebsvermögen zu zahlen. "Genügt dieses Vermögen nicht, um die Erbschaft- oder Schenkungsteuer betragsmäßig zu begleichen, wird die Steuer insoweit erlassen", heißt es in dem Entwurf. Alternativ zur Verschonungsbedarfsprüfung ist ein Verschonungsabschlag möglich. Dabei beträgt der Abschlag 85 Prozent bei einer Haltefrist von fünf Jahren beziehungsweise 100 Prozent bei einer Haltefrist von sieben Jahren. Bei Vermögen über 26 Millionen Euro sinkt der Abschlag schrittweise (Verschonungsabschmelzmodell). Ab 116 Millionen Euro gilt ein einheitlicher Verschonungsabschlag von 20 Prozent bei einer Haltedauer von fünf Jahren (bei sieben Jahren 35 Prozent).

Die Stiftung Familienunternehmen erklärte, was die Bundesregierung vorgelegt habe, reiche nicht aus, "wenn das Ziel des Erhalts und der Sicherung der Arbeitsplätze auch der großen Familienunternehmen tatsächlich erreicht werden soll". Die 26-Millionen-Euro-Grenze wird von der Stiftung als zu niedrig kritisiert. Schon bei einem Jahresertrag von nur 1,43 Millionen Euro ergebe sich dieser Unternehmenswert. Die vom Finanzministerium mit 200 Millionen Euro angegebenen Mehreinahmen für die Staatskasse seien zu niedrig. An einem Beispiel rechnete die Stiftung vor, dass der Erbe eines Unternehmens mit einem Wert von 100 Millionen Euro erheblich mehr Steuern zu zahlen hätte als bisher. Damit würden den Betrieben Mittel für Investitionen entzogen. Nach Ansicht von Benedikt Rüchardt (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft) bewertet der Entwurf im Betrieb gehaltenes nicht begünstigtes Vermögen viel zu hoch, und es werde mit bis zu 80 Prozent Erbschaftsteuer belastet. "Es darf keinesfalls dazu kommen, dass betrieblich notwendiges Vermögen dieser Belastung unterworfen wird", warnte Rüchardt in seiner Stellungnahme.

Ohne die Verschonungsregelungen des alten Rechts wäre der Betriebsübergang eines Teils seines Unternehmens auf die nächste Generation nicht möglich gewesen, schilderte Professor Rolf Schnellecke (Schnellecke Group AG & Co. KG) seine persönlichen Erfahrungen. Unter den Bedingungen des heutigen Entwurfs könnte er die Übertragung nicht mehr vornehmen. Er kritisierte die "nicht mehr gegebene Planbarkeit und besonders "völlig unrealistische" Vorschriften für die Bewertung von Unternehmen.

Andere Sachverständige widersprachen der Argumentation der Wirtschaft. So hieß es in der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die massive Ungleichbehandlung von Vermögensübertragungen werde durch den Entwurf kaum reduziert. Warum die Ziele Beschäftigungssicherung und Bewahrung der Unternehmenslandschaft durch das Gesetz gefährdet sein sollten, werde nicht belegt. "Offensichtlich können größere Unternehmen auch von fremden Erwerbern weitergeführt werden", hieß es in der DIW-Stellungnahme, in der daher empfohlen wird, Freibeträge oder Verschonungsabschläge nur für kleinere Unternehmen vorzusehen. Auch Rechtsanwalt Klaus Stähle erklärte: "Es gibt keinen objektiv belegbaren Grund, die Unternehmensnachfolge im Erbschafts- und Schenkungsfall dermaßen zu privilegieren." Wenn das Gesetz in dieser Form umgesetzt werde, werde es beim Verfassungsgericht scheitern.

Die Deutsche Steuergewerkschaft erklärte, die Erbschaftsteuer sei verfassungsrechtlich geboten. In mehreren Punkten erfülle der Entwurf die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verlangte, der einseitigen und wachsenden Vermögenskonzentration in Deutschland müsse im Wege einer verteilungsgerechten und verfassungsgemäßen Erbschaftsteuerreform begegnet werden. Der DGB habe keine Erkenntnisse für auch nur einen einzigen Fall, in dem die Fortführung eines Betriebes durch eine unverhältnismäßige Besteuerung der Erben gescheitert wäre.

Von Defiziten der deutschen Erbschaftsteuer berichtete Professor Lorenz Jarass (Hochschule RheinMain). Bis zu 250 Milliarden Euro würden jedes Jahr vererbt, aber das Aufkommen der Erbschaftsteuer betrage nur fünf Milliarden Euro im Jahr. Während Erben also im Durchschnitt mit zwei Prozent besteuert werde, werde Arbeitsentgelt mit Steuer und Abgaben in Höhe von 40 Prozent belastet, also 20mal höher als ein Erbe. Da nur in Deutschland ansässige Steuerpflichtige zur Erbschaftsteuer herangezogen würden, könne die Steuer durch Wohnsitzverlagerung vermieden werden. Außerdem würden Familienbetriebe gegenüber ausländischen Gesellschaften diskriminiert: "Zum Beispiel sind IKEA und seine Eigentümer in Deutschland nicht erbschaftsteuerpflichtig, der mit IKEA konkurrierende mittelständische Möbelhändler schon." Diese Diskriminierung will Jarass durch ein "Erbersatzsteuer" auf Betriebsvermögen unabhängig vom Wohnsitz des Eigentümers beseitigen.

Der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) warnte vor möglicherweise verfassungswidrigen Bestimmungen. Auch die von den Bundesländern formulierten Bedenken würden erahnen lassen, "dass die Verfassungskonformität der jetzigen Vorlage keinesfalls als gesichert gelten kann". "Eine erneute Verfassungswidrigkeit wäre fatal. Und ein erneutes Scheitern in Kauf zu nehmen, wäre fatalistisch", erklärte Kühl. Jürgen Brandt, Präsident der Deutschen Finanzgerichtstages und Richter am Bundesfinanzhof, bezeichnete die Bestimmungen für das sogenannte Verwaltungsvermögen als problematisch. Professor Joachim Wieland (Universität Speyer) erklärte, der Gesetzentwurf verstoße durch die Überprivilegierung betrieblichen Vermögens gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und habe "in der gegenwärtigen Form keine Chance auf Billigung durch das Bundesverfassungsgericht".

Auch Professor Roman Seer (Ruhr-Universität Bochum) bezweifelte die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Entwurfs. So gehe die Verschonungsregelung überhaupt nicht auf die Unterschiede zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen ein. Grundsätzlich stellte Professor Seer fest: Was da drin steht, verstehe ich zum Teil nicht. Und ich bin Steuerrechtler." (Deutscher Bundestag: ra)


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