Intensität wissenschaftlichen Fehlverhaltens


Plagiate nicht die einzigen Fälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten
Ehrenautorenschaften, Ghost Writer, Datenerfindung, Unterdrückung von Falsifikationshinweisen und Bestechung: "Mit Unehrlichkeit kommt man weit"?


(18.11.11) - Es bedarf deutlicher Änderungen im Wissenschaftssystem, um wissenschaftlichem Fehlverhalten vorzubeugen. Das war dem öffentlichen Fachgespräch im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu entnehmen. Dabei waren sich die Experten einig, dass wissenschaftliches Fehlverhalten nicht allein mit Anti-Plagiatssoftware bekämpft werden kann. Zudem sei wissenschaftliches Fehlverhalten kein neues Phänomen und lasse sich nicht nur an Plagiaten festmachen.

Als ein "Kernstück" der Problematik nannte Professor Stefan Hornbostel vom Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung die Betreuung von Doktoranden. So gebe es viele externe Promotionen, die nicht in einen universitären Forschungskontext eingebunden seien. Bei ihnen könne der Betreuer die Arbeitsfortschritte nur schwer beobachten. Als weitere Probleme nannte Hornbostel unter anderem die häufig nicht formalisierten Aufnahmeprozeduren und die ungeregelte Erfassung von Promovierenden. Dies habe zur Folge, dass es in Deutschland keine belastbaren Aussagen über die Zahl der Promovierenden, über Abbrüche und Promotionsdauer gebe.

Auch gebe es keinen "zuverlässigen Überblick über die Intensität wissenschaftlichen Fehlverhaltens", ergänzte Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht und Wissenschaftsrecht in Bonn und Sprecher der Beratungs- und Vermittlungseinrichtung "Ombudsman für die Wissenschaft". Er wies darauf hin, dass Plagiate – wie jüngst bei "spektakulären Fällen" – nicht der "einzige Brennpunkt" seien. Vor allem im Bereich der Naturwissenschaften sei auch die Manipulation von Daten ein Problem, etwa durch die Unterdrückung von Falsifikationshinweisen, die die Arbeitshypothese gefährden könnten. Hinsichtlich externer Arbeiten wollte Löwer keinen "Generalverdacht" äußern. Gemessen an ihrer großen Zahl kämen negative Befunde nicht überproportional häufig vor.

"Wir brauchen keine weiteren Sanktionen, wir brauchen mehr Prävention", sagte Annette Schmidtmann von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). So müsse das wissenschaftliche Arbeitsklima verbessert werden – etwa durch eine verbesserte Betreuung der Doktoranden. Außerdem müsse der Druck von ihnen und ihren Professoren genommen werden. Als weiteren Schritt empfahl Schmidtmann die Einbindung von Promovierenden in den wissenschaftlichen Diskurs, die zeitliche Entlastung von Wissenschaftlern – so stünden die Professoren unter dem Druck, "permanent Drittmittel einwerben zu müssen" -, eine Verbesserung der Personalstruktur an Universitäten und die Vermittlung guter wissenschaftlicher Praxis, möglichst schon vor der Promotion.

Für Debora Weber-Wulff, Professorin für Medieninformatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, sind Änderungen im Wissenschaftssystem unerlässlich. "Mit Unehrlichkeit kommt man weit", sagte sie und verwies auf Ehrenautorenschaften, Ghost Writer, Datenerfindung und Bestechung. Zur Verbesserung der Situation schlug sie unter anderem eine nationale Beratungsstelle zu Plagiat und wissenschaftlichem Fehlverhalten vor, außerdem eine "schonungslose Transparenz und Offenheit" hinsichtlich wissenschaftlicher Prozesse und Ergebnisse und die Eindämmung der "ausufernden Publikationsliste". Zudem sollte es ihrer Meinung nach nicht mehr möglich sein, den Doktorgrad im Personalausweis eintragen zu lassen, damit wissenschaftliche Grade keinen Platz mehr im zivilen Leben haben. (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • AfD will Gebäudeenergiegesetz abschaffen

    Die AfD-Fraktion will das Gebäudeenergiegesetz (GEG) abschaffen und verlangt in einem Antrag (21/227) außerdem, auf die CO2-Bepreisung von Heizöl und Gas zu verzichten. Die entsprechenden Vorschriften sollen "schnellstmöglich, vollständig und ersatzlos" gestrichen werden. Zudem soll die Umsetzung aller entsprechenden EU Verordnungen und Richtlinien (etwa der sogenannte Green Deal der EU) sowie damit verbundene Regulierungen wie der CO2-Grenzausgleich sofort beendet werden.

  • Änderung der Verordnung (EU) 2017/625

    Die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen drängt auf eine verpflichtende Produktkennzeichnung für Lebensmittel, die genomisch verändert wurden. Anlass ist ein Vorschlag der Europäischen Kommission, die im Juli 2023 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über mit genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel vorgelegt hat.

  • Steuerhinterziehung & Cum-Cum

    Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt in einem Antrag (21/226), organisierte Steuerhinterziehung wie die sogenannten Cum-Cum-Deals aufzuklären und die Steuermilliarden konsequent zurückzufordern. Dazu sollen die Aufbewahrungsfristen für Belege bei Finanzinstitutionen verlängert werden. Der Antrag steht am Donnerstag auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages.

  • Ausschuss gegen Cum-Cum-Antrag der Grünen

    Der Finanzausschuss hat mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD einen Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel "Organisierte Steuerhinterziehung wie Cum-Cum-Deals aufklären, Steuermilliarden konsequent zurückfordern und Aufbewahrungsfristen für Belege bei Finanzinstitutionen verlängern" (21/226) abgelehnt. Für den Antrag stimmten neben der Antragstellerin die Fraktionen der AfD und Die Linke.

  • Versorgungslage signifikant verbessert

    Die Inbetriebnahme des vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entwickelten Frühwarnsystems bei Arzneimittel-Lieferengpässen in einer funktionsfähigen Basisversion ist nach Angaben der Bundesregierung für das vierte Quartal 2025 vorgesehen. Der Aufbau des Frühwarnsystems habe insbesondere bei der Beobachtung und Bewertung der Versorgung mit antibiotikahaltigen Arzneimitteln für Kinder unterstützende Daten geliefert, heißt es in der Antwort (21/338) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (21/171) der AfD-Fraktion.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen