Netzneutralität und Spezialdienste


Ein tragfähiges Nebeneinander von Internetzugangsdiensten und Spezialdiensten realisieren
Verein Initiative für Netzfreiheit – Bürgerrechte:
Alleinige Profiteure einer Abschaffung oder Lockerung des Prinzips wären größere Telekommunikationsanbieter, welche sich eine höhere Rentabilität ihrer Infrastruktur durch diskriminierende Geschäftsmodelle erhoffen

(16.07.15) - Über die Frage der gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität und der Zulassung bevorzugt behandelter Spezialdienste gibt es unter Experten unterschiedliche Ansichten. Das wurde während eines öffentlichen Fachgespräches im Ausschuss Digitale Agenda deutlich. Vor allem Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer beim Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom), sprach sich für die Zulassung von Spezialdiensten aus, was auch aus Sicht der Bundesregierung der richtige Weg sei, wie Wilhelm Eschweiler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, sagte. Die weiteren geladenen Sachverständigen sahen das anders und sprachen sich für eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität aus.

Der Vizepräsident der Bundesnetzagentur verwies auf die Haltung der Bundesregierung zum Thema Netzneutralität. Dabei gehe es zum einen um die Beibehaltung des Best-Effort-Prinzips, also der Gleichbehandlung aller Daten im Internet. Zudem sollten Spezialdienste "nicht als Ersatz für Internetzugänge vertreiben werden dürfen". Des Weiteren müssten ausreichende Kapazitäten für Spezialdienste geschaffen werden, um den sonstigen Datenverkehr nicht zu behindern. Diese Kernaspekte des deutschen Vorschlags im Rahmen der europaweiten Diskussion zur Netzneutralität zielen laut Eschweiler darauf ab, "ein tragfähiges Nebeneinander von Internetzugangsdiensten und Spezialdiensten zu realisieren".

Gegen allzu strenge Regelungen der Netzneutralität, wie sie derzeit im Europäischen Parlament diskutiert würden, wandte sich Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder. Ebenso wie der Vertreter der Bundesnetzagentur sprach auch er sich dafür aus, das Best-Effort-Prinzip zu erhalten, gleichzeitig aber bevorzugt zu behandelnde Spezialdienste zuzulassen. Das sei wichtig, um die Innovationsfähigkeit und Investitionskraft der Branche nicht zu gefährden. Rohleder betonte: "Ein absolutes und dogmatisches Verständnis von Netzneutralität geht an den tatsächlichen Gegebenheiten in den Netzen vorbei und würde im Falle der Umsetzung die Aufrechterhaltung der verschiedenen Netzfunktionalitäten erschweren sowie die Integrität und Sicherheit der Netze gefährden."

Alleinige Profiteure einer Abschaffung oder Lockerung des Prinzips wären größere Telekommunikationsanbieter, welche sich eine höhere Rentabilität ihrer Infrastruktur durch diskriminierende Geschäftsmodelle erhoffen, gab Thomas Lohninger vom Verein Initiative für Netzfreiheit - Bürgerrechte im digitalen Zeitalter zu bedenken. Derzeit, so Lohniger, gebe es einen internationalen Trend "hin zur Netzneutralität". Sollte Europa sich für den anderen Weg entscheiden und Startsups erst mit den Telekommunikationsanbietern in Verhandlung treten müssen, bevor sie ihr Produkt auf den Markt bringen können, "sind wir in der großen Gefahr, dass es uns nicht möglich ist, auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig zu sein", warnte er.

Alexander Sander vom Verein Digitale Gesellschaft e.V. machte deutlich, dass es schon jetzt im mobilen Bereich erhebliche Verletzungen der Netzneutralität gebe. Dieses Problem, so seine Befürchtung, solle nun auch bei Festnetzanschlüssen verfestigt werden. Ziel der Anbieter sei es, "mit bestehenden Netzen mehr Geld zu verdienen, ohne in den weiteren Breitbandausbau investieren zu müssen", sagte Sander. Auch vor diesem Hintergrund sei die Festschreibung der Netzneutralität gut für den Breitbandausbau. Das zeigten im Übrigen auch die Erfahrungen in Ländern mit einer strengen Auslegung der Netzneutralität.

Auf die aktuellen Entwicklungen in den USA ging Benn Scott, ehemaliger Innovationsberater der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton und jetzt Geschäftsführer der Stiftung Neue Verantwortung, ein. So habe die amerikanische Regulierungsbehörde FCC mit dem Gesetz zur Netzneutralität das "umfassendste Dokument, was es zu dem Thema jemals gegeben hat", verabschiedet. Kernaussagen darin seien, dass es keinerlei Drosselung geben dürfe sowie keine "diskriminierende Preisgestaltung". Laut Scott seien daher keine Geschäftsmodelle erlaubt, die auf einer bezahlten Priorisierung von Datenverkehr beruhen. (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Internationale Standards und Normen

    Nach Ansicht der Bundesregierung werden im Amtsblatt der EU veröffentlichte harmonisierte europäische Normen nicht generell Teil des Unionsrechts, auch wenn die EU-Kommission aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes eine andere Meinung vertritt. Dies erklärt die Bundesregierung in der Antwort (20/15026) auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (20/14834).

  • Treibhausgas (THG)-Emissionen

    Die sektorenübergreifenden Treibhausgas (THG)-Emissionen sind seit dem Jahr 2021 deutlich gesunken,wobei alle Sektoren bis auf den Verkehr Rückgänge verzeichneten. Die Geschwindigkeit der THG-Emissionsminderung variiert erheblich zwischen den Sektoren. Das geht aus einer Unterrichtung der Bundesregierung zum Gutachten des Expertenrats für Klimafragen zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen, Trends der Jahresemissionsmengen und zur Wirksamkeit von Maßnahmen hervor (20/14900).

  • Regierung: Berichtspflichten zu umfangreich

    Die Berichtspflichten für Unternehmen sind nach Auffassung der Bundesregierung im internationalen Wettbewerb zu umfangreich. Dazu zählt die Regierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion auch Nachhaltigkeitsberichtspflichten. Die Offenlegung ähnlicher Sachverhalte solle weiter vereinheitlicht werden, um "Doppelreporting" zu vermeiden.

  • Digitale Souveränität in der Bundesverwaltung

    Über die Beschaffung und den Einsatz von IT-(Sicherheits-)Produkten durch den Bund als öffentlichen Auftraggeber informiert die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/14887) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU (20/14226). Unter der Überschrift "Digitale Souveränität in der Bundesverwaltung" wird darin ein umfassender Überblick über die Beschaffung und Zulassung von einzelnen IT-Sicherheitsprodukten und -diensten gegeben.

  • Aktive Beteiligungsführung bei Unternehmen

    Die Bundesregierung bestätigt in ihrer Antwort (20/14693) auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (20/14379) die zu Ende 2024 erfolgte Änderung der Richtlinien für eine aktive Beteiligungsführung bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung. Bereits die bis November 2024 geltenden Regelungen hätten vorgesehen, dass Mitglieder des Bundestages "in Ausnahmefällen" in Aufsichtsgremien von Unternehmen mit Bundesbeteiligung berufen werden können, heißt es in der Antwort.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen