HRE-Rettungsaktion war "kein fahrlässiger Poker"


HRE-Untersuchungsausschuss: Späte direkte Einschaltung der Bundesregierung habe das Ziel verfolgt, den vom Finanzsektor zu leistenden Beitrag zur HRE-Stabilisierung "voll auszureizen"
Jens Weidemann: Gefahr einer "Kernschmelze" auf dem Finanzmarkt - "Wir haben in den Abgrund geschaut"


(21.08.09) - Nach übereinstimmenden Aussagen von Jens Weidmann, dem Leiter der finanz- und wirtschaftspolitischen Abteilung im Kanzleramt, und von Finanz-Staatssekretär Jörg Asmussen hat die Bundesregierung Ende September 2008 den deutschen Banken den größtmöglichen finanziellen Beitrag zu einem 35-Milliarden-Euro-Paket zwecks Rettung der damals vor dem Beinahekollaps stehenden Hypo Real Estate (HRE) abgerungen. Vor dem Untersuchungsausschuss, der die Vorgänge um die HRE und deren irische Tochter Depfa aufklären soll, bezeichnete Weidmann am Mittwoch die beim ersten "Rettungswochenende" erzielte Lösung als "vertretbar", wonach der Finanzsektor 8,5 Milliarden Euro beisteuern sollte. Mit dieser Summe sei die Belastbarkeitsgrenze der Banken, die zunächst nur bis zu zwei Milliarden Euro aufbringen wollten, erreicht gewesen. Bei den dramatischen Verhandlungen hätten alle Beteiligten "einen guten Job gemacht", sagte Asmussen.

Den beiden Zeugen zufolge ging es an jenem Wochenende einerseits darum, unbedingt die Insolvenz der HRE zu verhindern, da in einem solchen Fall angesichts der enormen Bedeutung dieses Instituts dem gesamten Bankensystem Gefahr gedroht habe. Dann wäre es zu einer "Kernschmelze" auf dem Finanzmarkt gekommen, sagte Weidmann, "wir haben in den Abgrund geschaut". Andererseits habe die Regierung das Ziel verfolgt, die Beteiligung der Banken an der HRE-Rettung möglichst hoch zu treiben, so Asmussen.

Der Staatssekretär betonte, die zwischen Kanzleramt und Finanzministerium abgestimmte Verhandlungsstrategie am "Rettungswochenende" sei "kein fahrlässiger Poker gewesen". Damit widersprach er der Kritik aus den Reihen der Opposition, er sei schlecht vorbereitet in die Gespräche mit dem Bankenkonsortium unter Führung von Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann gegangen und sei am Sonntag erst um 17 Uhr und damit zu spät vor Ort zugegen gewesen. Wie Asmussen erklärte auch Weidmann, die späte direkte Einschaltung der Regierung in die Verhandlungen habe das Ziel verfolgt, den vom Finanzsektor zu leistenden Beitrag zur HRE-Stabilisierung "voll auszureizen".

FDP, Linkspartei und Grünen erhoben während der Zeugenvernehmung den Vorwurf, das Finanzministerium habe Warnsignale zur krisenhaften Entwicklung der HRE, die schon vor der Pleite von Lehman Brothers Mitte September 2008 erkennbar gewesen seien, nicht zur Kenntnis genommen. Weidmann und Asmussen erklärten dazu, bis zum Zeitpunkt des nicht vorhersehbaren Lehman-Fiaskos mit der folgenden Austrocknung des Interbankenmarkts habe es keine Hinweise auf eine existenzbedrohende Lage bei der HRE gegeben.

Der Staatssekretär sagte, in den von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor dem Ende von Lehman an das Finanzressorts übermittelten Prüfberichten sei die Situation der HRE als ”angespannt, aber beherrschbar" beschrieben worden. Angesichts dieser Analyse habe es seinerzeit für die zuständige Fachabteilung im Ministerium als Adressat der BaFin-Mitteilungen keinen Anlass gegeben, diese Berichte an die Leitungsebene des Ressorts und damit auch an ihn zu übermitteln.

Wären die BaFin-Prüfungen der Führung des Ministeriums und dem Kanzleramt schon vor oder während des Debakels der HRE bekannt gewesen, so hätte dies keinen Einfluss auf die Rettung des durch die Lehman-Pleite ins Trudeln geratene Münchner Instituts gehabt, erläuterten Asmussen und Weidmann. Zu der vom FDP-Abgeordneten Volker Wissing erwähnten Aussage von BaFin-Chef Jochen Sanio vor dem Ausschuss, die HRE habe seit der Übernahme der irischen Depfa im Herbst 2007 ”in der Falle" gesessen und sich zu einem Schneeballsystem entwickelt, meinte Asmussen, derart habe sich Sanio gegenüber dem Ministerium nie geäußert.

Axel Troost (Linkspartei) kritisierte, dass sich Bankenaufsicht und Finanzressort nicht rechtzeitig mit dem Durchspielen von Risikoszenarien auf krisenhafte Situationen wie bei der HRE vorbereitet hätten. Dazu erklärte Asmussen, in solche Übungen hätte man einen Fall wie das Lehman-Fiasko gar nicht einbeziehen können, da dies nicht vorstellbar gewesen sei.

Gerhard Schick von den Grünen stellte die Frage, wieso der deutsche Staat mit der Depfa, deren Schieflage in erster Linie das Desaster der HRE verursacht hat, eine irische Bank mit hiesigen Steuergeldern rette. Weidmann sagte dazu, mangels eines Privatkundengeschäfts sei die Depfa nicht unter den Schutzschirm des irischen Staats gefallen. Im Übrigen sei es bei der Stabilisierung der Depfa und damit der HRE darum gegangen, Geldanlagen in Deutschland zu sichern, so der Berater von Kanzlerin Angela Merkel. (Deutscher Bundestag: ra)

Lesen Sie auch:
Mehr Kompetenzen staatliche Bankenaufsicht
Bei der HRE sind weitere Verluste möglich
"Weltuntergang des Finanzsystems" stand bevor
Kollaps des deutschen Bankensystems habe gedroht
HRE und "Drehbücher für einen Krisenplan"?
Krise der HRE mit Kauf der Depfa programmiert?
HRE: Schadenersatz gegen ehemaligen Vorstand?
Ex-Aufsichtsratschef der HRE greift Steinbrück an
HRE-Warnmeldung sei damals "überraschend" gekommen
HRE-Krise: Bankenaufsicht habe nicht geschlafen
Schieflage der Depfa und der Hypo Real Estate
HRE auf dem Weg in die Verstaatlichung
Finanzminister Steinbrück hat sein Ziel erreicht


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Bitcom lobt und kritisiert Kryptopolitik

    Der Branchenverband Bitcom warnt davor, dass Deutschland seine gute Ausgangsposition im Bereich der Kryptowirtschaft nicht aufs Spiel setzen solle. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum Finanzmarktdigitalisierungsgesetz (20/10280) sagte Bitcom-Vertreter Benedikt Faupel: "Der Standort Deutschland hat gute Voraussetzungen, ich erinnere an die Blockchain-Strategie."

  • Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte

    Der Kulturausschuss hat sich in einem öffentlichen Fachgespräch mit den Chancen und Risiken des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Medienbereich auseinandergesetzt. Geladen hatte er Sachverständige von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Unternehmen und aus der Wissenschaft.

  • Modernisierung des Postrechts

    In einer Anhörung beschäftigten sich neun Sachverständige mit dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Modernisierung des Postrechts (20/10283). Dieses beinhalte eine "grundlegende Novellierung des Postrechts", schreibt die Bundesregierung zu dem Entwurf.

  • Einnahmen aus dem Energiekrisenbeitrag

    Die im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine massiv gestiegenen Preise für Erdgas, Wärme und Strom haben zeitweise eine existenzbedrohende Belastung für die Bevölkerung und Unternehmen in Europa und nicht zuletzt in Deutschland dargestellt. Dabei sorgten das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) und das Strompreisbremsegesetz (StromPBG) für eine zeitlich befristete, schnelle Entlastung in der Breite der Bevölkerung und der Unternehmen in Deutschland, welche durch ihre konkrete Ausgestaltung die Anreize zum Energiesparen aufrechterhalten hat.

  • Soziale und ökologische Nachhaltigkeit

    Eine nachhaltige Künstliche Intelligenz (KI) braucht politische Rahmenbedingungen. Das machte Kilian Vieth-Ditlmann, stellvertretender Leiter des Policy- & Advocacy-Teams bei der AW AlgorithmWatch gGmbH während eines öffentlichen Fachgespräches im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung deutlich. Als ersten Schritt bewertete er die im EU-Parlament verabschiedete KI-Verordnung.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen