Konzept: "Wohlstandsindikatorenansatz"


Abschied von der Allmacht des BIP und Neubemessung von Lebensqualität
Die Beschäftigungsquote, das Bildungsniveau anhand von Schulabschlüssen, die Gesundheit mit Hilfe der Lebenserwartung und das Maß an Freiheit etwa bei der Meinungsäußerung oder den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten sollen Auskunft geben über die soziale Lage in der Gesellschaft


(25.02.13) - Die Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" ruft dazu auf, die Wohlfahrt der Gesellschaft künftig nicht mehr nur über das quantitativ ausgerichteten Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu berechnen, sondern neben dem materiellen Wohlstand auch die Ökologie sowie die soziale Lage in der Bevölkerung und das Maß an Teilhabe am politischen Leben heranzuziehen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Kritik am BIP als alleiniger Kennziffer für Wohlstand beschloss das Bundestagsgremium gegen die Stimmen der Linken und der Grünen ein von der breiten Mehrheit aus Union, SPD und FDP unter dem Titel "Wohlstandsindikatorenansatz" entwickeltes Konzept. Zwar plädierten auch Linke und Grüne für eine alternative Wohlstandsermittlung. Aus deren Sicht ist das letztlich verabschiedete Modell jedoch zu kompliziert und nicht geeignet, eine breite gesellschaftliche Debatte über politische Konsequenzen aus der Neubemessung von Lebensqualität anzustoßen.

Im Rahmen eines sehr differenzierten statistischen Systems sollen die für die gesellschaftliche Wohlfahrt wesentlichen Kriterien "Materieller Wohlstand", "Soziales und Teilhabe" sowie "Ökologie" mit Hilfe von zehn sogenannten "Leitindikatoren" berechnet werden. Bei der Ermittlung des materiellen Wohlstands wird danach das BIP weiterhin eine zentrale Rolle spielen, stützen müsse man sich indes zudem auf die Einkommensverteilung und auf das Maß der Staatsschulden. Die Beschäftigungsquote, das Bildungsniveau anhand von Schulabschlüssen, die Gesundheit mit Hilfe der Lebenserwartung und das Maß an Freiheit etwa bei der Meinungsäußerung oder den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten sollen Auskunft geben über die soziale Lage in der Gesellschaft. Als ökologische Kennziffern benennt die Kommission den Ausstoß an Treibhausgasen und Stickstoff sowie die Artenvielfalt.

Hinzu kommt noch eine Reihe sogenannter "Warn- und Hinweislampen", die nach den Worten der CDU-Abgeordneten Stefanie Vogelsang frühzeitig vor sich anbahnenden gefährlichen Tendenzen warnen sollen – etwa bei der Entwicklung der Nettoinvestitionen, der Vermögensverteilung, der Qualität der Arbeit, der Lebenserwartung oder der Weiterbildung.

Vogelsang ist Vorsitzende der Projektgruppe 2, die ein Modell für einen "ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator" entwerfen sollte und diesen Bericht am Montag zur Abstimmung gestellt hat. Aus Sicht der CDU-Politikerin kann dieses Konzept eine "Handlungsschnur für politische Entscheidungen" sein. Von einer nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich erfolgenden Veröffentlichung der entsprechenden Daten erhofft sie sich eine "intensive gesellschaftliche Debatte". Vogelsang kündigte an, dass man auch über die Einschaltung einer Kommunikationsagentur noch einen "griffigen Namen" für das "Indikatoren-Set" suchen wolle.

Für die SPD forderte der Sachverständige Gert Wagner, die Regierung müsse künftig jährlich zu den Kennziffern der künftigen Wohlstandsmessung Stellung nehmen, um die Diskussion über politische Schlussfolgerungen zu beflügeln. Überdies mahnte Wagner Verbesserungen bei den Statistiken an, da noch nicht für alle Indikatoren die nötigen Daten vorlägen. Der FDP-Abgeordnete Florian Bernschneider betonte, über die politische Umsetzung des neuen Modells müsse noch näher

debattiert werden. Die von der Union benannte Sachverständige Beate Jochimsen meinte, das Indikatoren-Set biete ein "konsistentes Bild über die Wohlfahrtsentwicklung" und sei so konzipiert, dass den Bürgern Spielraum für eine individuelle Bewertung der einzelnen Faktoren bleibe.

Der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald kritisierte die Vorlage der Kommissionsmehrheit hingegen als "abstruses Zahlenspiel", das "überladene" Indikatoren-Set sei "nicht breit kommunizierbar". Konkret monierte Birkwald, dass im Modell von Union, SPD und FDP das "Verteilungsproblem verharmlost wird". Als künftiges Maß für Wohlergehen präsentierte die Linke ein "Trio der Lebensqualität": Die Teilhabe am wirtschaftlichen Wohlstand soll über das Bruttogehalt der Arbeitnehmer berechnet werden, die "soziale Qualität der Gesellschaft" soll aus der "Reich-Arm-Verteilung" abgeleitet werden und die "ökologische Tragfähigkeit" soll sich aus dem "ökologischen Fußabdruck" ergeben.

Die Grünen-Parlamentarierin Valerie Wilms kritisierte, ein "Sammelsurium von Indikatoren und Lampen" sei als "Instrument der politischen Steuerung" ungeeignet. Wilms warb für den von den Grünen erarbeiteten "Wohlstandskompass": Das Maß an Lebensqualität soll sich danach auf die Messung des Natur- und Ressourcenverbrauchs, der Einkommensverteilung, der Lebenszufriedenheit der Bürger sowie der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stützen.

Die beiden Anträge der Linken und der Grünen wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. (Deutscher Bundestag: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Garantien für Uefa unterliegen Steuergeheimnis

    Der Erlass von Einkommensteuer für Veranstaltungen in Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft 2024 ist aus Sicht der Bundesregierung in besonderem öffentlichen Interesse. Allerdings unterlägen die Inhalte der Steuergarantien für den europäischen Fußballverband Uefa dem Steuergeheimnis, schreibt sie in ihrer Antwort (20/12227) auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke (20/11840).

  • Übererfüllung von EU-Rechtsakten

    Die Bundesregierung gibt in einer Antwort (20/12167) auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (20/11742) Auskunft über das "Gold-Plating" von EU-Richtlinien beziehungsweise EU-Verordnungen. Danach wurden in dieser Legislaturperiode neun Richtlinien und drei Verordnungen über das von der Richtlinie beziehungsweise Verordnung geforderte Mindestmaß hinaus umgesetzt.

  • Werbung der Deutschen Bahn AG

    Die Deutsche Bundesregierung erteilt keine Auskünfte über den Umfang des Werbebudgets der Deutschen Bahn AG (DB AG). Es handle sich dabei um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens, heißt es in der Antwort der Regierung (20/12222) auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke (20/11503).

  • Beschränkung der Laienverteidigung

    Der Bundesrat will die in der Strafprozessordnung eröffnete Möglichkeit der Laienverteidigung einschränken. Nach den Vorstellungen der Länderkammer sollen künftig nur noch volljährige Angehörige des Beschuldigten, Vertreter etwa von Berufsverbänden oder Gewerkschaften oder Personen mit der Befähigung zum Richteramt - nach Genehmigung durch das Gericht - die Verteidigung übernehmen dürfen.

  • Innovative Ansätze in der Datenpolitik nötig

    Mit den Rahmenbedingungen für eine innovative Datenpolitik, also Datenaustausch und -nutzung sowie Datenschutz, hat sich der Digitalausschuss in einer öffentlichen Anhörung befasst. Die Sachverständigen bewerteten auch die nationalen Spielräume bei der Umsetzung des europäischen Data Acts, des Data Governance Acts aber auch der KI-Verordnung.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen