
Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-665/23 | Veracash
Beweislast obliegt dem Zahlungsdienstleister, der beweisen muss, dass ein Vorgang authentifiziert, ordnungsgemäß aufgezeichnet und verbucht war
Zahlungsdienste: Der Nutzer einer Zahlungskarte verliert den Anspruch auf Erstattung eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs, von dem er Kenntnis hat, wenn er die Unterrichtung seines Zahlungsdienstleisters vorsätzlich oder grob fahrlässig verzögert. Dies gilt auch für den Fall, dass diese Unterrichtung innerhalb von 13 Monaten nach dem Tag der Belastung erfolgt ist
Ein Verbraucher hält ein Goldeinlagenkonto bei der Gesellschaft Veracash SAS. Im März 2017 sandte Veracash ihm eine neue Karte für Abhebungen und Zahlungen zu. Im Zeitraum von März bis Mai 2017 wurden von diesem Konto täglich Abhebungen vorgenommen. Der betroffene Verbraucher macht jedoch geltend, weder die Zahlungskarte erhalten noch die Abhebungen autorisiert zu haben.
Das Tribunal de grande instance d’Évry (Großinstanzgericht Évry, Frankreich) und die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) wiesen den Erstattungsantrag des Verbrauchers mit der Begründung zurück, dass er Veracash von den streitigen Abhebungen nicht "unverzüglich" gemäß dem Code monétaire et financier (Währungs- und Finanzgesetzbuch), mit dem die Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (1) umgesetzt wurde, unterrichtet habe, sondern erst im Mai 2017, also fast zwei Monate nach der ersten beanstandeten Abhebung. Die Unterrichtung war allerdings innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist von 13 Monaten erfolgt. (2)
Der Verbraucher legte Kassationsbeschwerde ein.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) an den Gerichtshof gewandt. Sie möchte wissen, ob die Richtlinie 2007/64 dahin auszulegen ist, dass der Zahler den Anspruch auf Erstattung eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs bei dessen verspäteter Anzeige auch dann verlieren kann, wenn die Anzeige innerhalb der Frist von 13 Monaten erfolgt ist. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, möchte sie außerdem wissen, ob der Verlust des Anspruchs ein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Zahlers voraussetzt und ob er sich auf alle nicht autorisierten Zahlungsvorgänge oder nur auf solche bezieht, die hätten vermieden werden können.
Der Gerichtshof antwortet erstens, dass der Zahlungsdienstnutzer den Anspruch auf Erstattung grundsätzlich verliert, wenn er nach Feststellung eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs seinen Zahlungsdienstleister nicht unverzüglich unterrichtet hat, auch wenn diese Unterrichtung innerhalb von 13 Monaten nach dem Tag der Belastung erfolgt ist.
Der Gerichtshof stellt klar, dass die "so bald wie möglich" zu erfüllende Informationspflicht einen eigenständigen Charakter hat und sich von der Pflicht zur Unterrichtung innerhalb von 13 Monaten nach dem Tag der Belastung mit einem nicht autorisierten Zahlungsvorgang unterscheidet. Die objektive Frist von 13 Monaten ändert naturgemäß nichts an der Relevanz der subjektiven Frist der "unverzüglichen" Unterrichtung. Insoweit könnte die bloße Einhaltung der Frist von 13 Monaten als einziges Kriterium das präventive Ziel der Pflicht zur "unverzüglichen" Anzeige nach Feststellung eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs gefährden. Außerdem würde es die Rechtssicherheit und die vom Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2007/64 vorgenommene Abwägung der Interessen des Zahlungsdienstnutzers gegen diejenigen des Zahlungsdienstleisters beeinträchtigen, wenn man davon ausginge, dass der Zahlungsdienstnutzer einen Anspruch auf Korrektur eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs hat, von dem er Kenntnis hatte, aber seinen Zahlungsdienstleister verspätet unterrichtet hat.
Zweitens gibt der Gerichtshof jedoch näher an, dass im Fall eines Zahlungsinstruments wie einer Bankkarte, das verloren, gestohlen, missbräuchlich verwendet oder sonst unautorisiert genutzt wurde, der Zahler seinen Anspruch auf Erstattung eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs grundsätzlich nur dann verliert, wenn er die Unterrichtung des Zahlungsdienstleisters vorsätzlich oder grob fahrlässig – in Form einer qualifizierten Verletzung einer Sorgfaltspflicht – verzögert hat, es sei denn, er hat in betrügerischer Absicht gehandelt.
Die Beweislast obliegt dem Zahlungsdienstleister, der beweisen muss, dass ein Vorgang authentifiziert, ordnungsgemäß aufgezeichnet und verbucht war. Dies wahrt die praktische Wirksamkeit der Richtlinie, da diese vorsieht, dass der Zahler nach der Anzeige keine finanziellen Folgen aus der Nutzung des verlorenen, gestohlenen oder missbräuchlich verwendeten Zahlungsinstruments trägt. Der Zahler hat daher kein Interesse daran, die von ihm vorzunehmende Anzeige zu verzögern.
Drittens antwortet der Gerichtshof, dass, wenn mehrere nicht autorisierte Zahlungsvorgänge infolge der Nutzung eines verlorenen, gestohlenen, missbräuchlich verwendeten oder sonst unautorisiert genutzten Zahlungsinstruments aufeinanderfolgen, der Zahler grundsätzlich nur den Anspruch auf Erstattung der Schäden verliert, die durch die Zahlungsvorgänge entstanden sind, bei denen er die Unterrichtung seines Zahlungsdienstleisters vorsätzlich oder grob fahrlässig verzögert hat. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist die Vorschrift über die Haftung des Zahlers für nicht autorisierte Zahlungsvorgänge eine Ausnahme und daher eng auszulegen. Schließlich steht das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Zahlers und den Schäden, für die er keine Erstattung erwirken kann, mit der Abwägung zwischen den Interessen der Zahlungsdienstnutzer und denen der Zahlungsdienstleister in Einklang.
HINWEIS: Mit einem Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Union vorzulegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.
(1) Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG.
(2) Art. 58 der Richtlinie 2007/64 sieht vor, dass "[d]er Zahlungsdienstnutzer nur dann eine Korrektur durch den Zahlungsdienstleister erwirken [kann],
(Pressemitteilung des EuGH vom 1. August 2025: ra)
eingetragen: 02.08.25