Individuelles Selbsttötungsverlangen


Ethikrat verneint Anspruch auf staatliche Unterstützung bei Suizid
Der Deutsche Ethikrat ist mehrheitlich der Ansicht, dass durch Bundesverwaltungsgerichtsurteil ethische Grundwertungen unterlaufen werden



Der Deutsche Ethikrat empfiehlt, der gebotenen Achtung individueller Entscheidungen über das eigene Lebensende keine staatliche Unterstützungsverpflichtung zur Seite zu stellen. Damit widerspricht der Ethikrat dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017. Anfang März hatte das Bundesverwaltungsgericht (Az.: BVerwG 3 C 19.15) entschieden, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasse "auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht." Seit dem 17. Mai liegt auch die Urteilsbegründung vor.

Der Deutsche Ethikrat ist mehrheitlich der Ansicht, dass durch dieses Urteil ethische Grundwertungen unterlaufen werden: Es beschränkt sich nicht darauf, individuelle Selbsttötungsverlangen zu achten. Vielmehr zwingt es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte dazu, Suizidwünsche anhand bestimmter materieller Kriterien zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Umsetzung durch eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlich wirkenden Substanz zu unterstützen.

Auf diese Weise wird eine staatliche Instanz zum Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz und diese von einer staatlichen Bewertung und Erlaubnis abhängig gemacht. Das widerspricht der zuletzt noch einmal in § 217 StGB zum Ausdruck gebrachten und dem gesamten System des (straf-)rechtlichen Lebensschutzes zugrunde liegenden ethischen Leitidee der staatlichen Neutralität gegenüber Lebenswertvorstellungen und stellt zugleich die höchstpersönliche Natur von Suizidwünschen infrage. Die Vorstellung, diese könnten staatlich bewertet und legitimiert werden, ist geeignet, diejenigen sozialen Normen und Überzeugungen zu schwächen, in denen sich der besondere Respekt vor jedem menschlichen Leben ausdrückt. Sie läuft damit auch der zentralen Forderung einer Stärkung suizidpräventiver Maßnahmen und Strukturen zuwider.

Eine Minderheit des Deutschen Ethikrates hält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dagegen für ethisch wohl erwogen und begrüßenswert. Ihr zufolge steht es im Einklang mit der dem Notstandsprinzip zugrunde liegenden Moralpflicht, vor allem in existenziellen Grenzfällen ein generell begründbares Verbot nicht zum Gebot der Unmenschlichkeit werden zu lassen. Nach Auffassung der Minderheit sollte dies im Sinne einer klarstellenden und präzisierenden Regelung in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen werden.

Ungeachtet dieses Dissenses bekräftigt der Deutsche Ethikrat in seiner Gesamtheit die Forderung nach einer Stärkung suizidpräventiver Maßnahmen sowie nach einem Ausbau nicht nur der Hospiz- und Palliativversorgung im ambulanten und stationären Bereich, sondern allgemein der Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase. Mehrheitlich empfiehlt er, entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht vorgeschlagenen problematischen Neuausrichtung des normativen Ordnungsrahmens an dem zuletzt noch einmal legislativ bekräftigten ethischen Grundgefüge festzuhalten und nicht der gebotenen Achtung individueller Entscheidungen über das eigene Lebensende eine staatliche Unterstützungsverpflichtung zur Seite zu stellen. (Deutscher Ethikrat: ra)

eingetragen: 28.06.17
Home & Newsletterlauf: 07.07.17

Deutscher Ethikrat: Kontakt und Steckbrief

Der Informationsanbieter hat seinen Kontakt leider noch nicht freigeschaltet.


Meldungen: Markt / Unternehmen

  • Standards für ethische KI in Europa setzen

    Im EU-Projekt CERTAIN arbeitet ein Forschungsteam der Fachhochschule St. Pölten an neuen Maßnahmen zur Sicherung ethischer und regulatorischer Standards im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ziel ist es, Lösungen zu entwickeln, die Organisationen und Unternehmen dabei unterstützen, die europäischen Vorschriften für die KI-Entwicklung und den verantwortungsvollen Umgang mit Daten schnell und kostengünstig einzuhalten.

  • Moratorium gemäß § 46 Kreditwesengesetz (KWG)

    Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat am 27. Februar 2025 über das Bankhaus Obotritia GmbH ein Moratorium gemäß § 46 Kreditwesengesetz (KWG) verhängt und damit die Schließung der Bank für den Kundenverkehr angeordnet. Infolge des hiermit verbundenen Veräußerungs- und Zahlungsverbotes ist es der Bank nicht mehr möglich, Verfügungen über Einlagen zuzulassen.

  • Mitteldeutschland vernetzt sich im Datenschutz

    Die Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen richten zusammen mit dem Berufsverband der Datenschutzbeauftragten e.V. den 1. Mitteldeutschen Datenschutztag aus. "Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines modernen Datenschutzes. Die Veranstaltung bietet eine gute Chance für die Vernetzung der behördlichen und externen Datenschutzbeauftragten aus drei Bundesländern.

  • Hamburgs Lobbyregistergesetz verabschiedet

    Transparency International Deutschland und Mehr Demokratie begrüßen die Verabschiedung des Hamburger Lobbyregistergesetzes durch die Hamburgische Bürgerschaft. Die Hamburger Regionalteams von Transparency Deutschland und Mehr Demokratie hatten bereits im Jahr 2023 ein Lobbyregister mit exekutivem und legislativem Fußabdruck gefordert.

  • Chancen für das Vertragsmanagement

    Die EU-Verordnung "eIDAS 2.0" schafft klare Regeln für digitale Identitäten und elektronische Signaturen. Im Mittelpunkt steht die Einführung der European Digital Identity Wallet (EUDI-Wallet) - eine digitale Brieftasche, mit der sich Unternehmen und Privatpersonen sicher online ausweisen, Nachweise speichern und Verträge qualifiziert elektronisch unterzeichnen können.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen